Tokio – was machst du bloß mit mir? Ich schaue auf die Uhr – 04:03 Uhr mitten in der Nacht. Von Müdigkeit keine Spur. Eigentlich müsste ich ins Bett fallen. Stattdessen wälze ich mich nur hin und her. In meinem Kopf rattert es. Die vergangenen 48 Stunden müssen verarbeitet werden. Momente, Erlebnisse, Bilder – Ich versuche meine Gedanken zusammenzuhalten. Doch es gelingt mir nicht. Ich befinde mich auf einer Achterbahn quer durch Tokio – einer Stadt die facettenreicher nicht sein könnte und mir immer noch den Atem raubt.
Zwischen Kontrolle und Magie – 48 Stunden durch Tokio
Eine To-Do Liste ist schon ratsam bevor man sich auf den Weg nach Tokio macht. Shibuya, Harajuku und vor allem der Skytree, der größte Fernsehturm der Welt – nur einige Orte, die mehr als sehenswert sind. Orte, die jeder Tourist garantiert einmal besucht während er in der größten Stadt der Welt unterwegs ist. Doch keine Bilder oder gar Videos können jemals diese Kraft widerspiegeln mit der Tokio dich vor Ort umgibt und wie von Geisterhand in ihren Bann zieht. Unbeschreiblich – fast sogar mysteriös. Seien es die Geishas, die dir mitten in der U-Bahn begegnen bis zu den Crossplayern die durch die Stadt ziehen, vorbei an den zahlreichen Männern mit Anzug und Krawatte.
Wie Ameisen ziehen sie durch die Straßen – wie auf unsichtbaren Wegen, die stets eine konkrete Richtung vorgeben. Hier gilt keine Abkürzung, jeder Weg ist vorprogrammiert. So scheint es zumindest. Allein die Organisation innerhalb der zahlreichen U-Bahn Schächte ist unglaublich. Keine Verzögerungen, keine Rumpeleien. Wer die Rolltreppe hinauf fährt steht links, wer geht rechts. So und sonst gar nicht. Kein wirres Stimmgewirr und keine unnötigen Geräusche durchbrechen die unheimliche Stille. Alles geht irgendwie von Zauberhand. Tokio hat definitiv ein System. Selbst auferlegt und für mich noch nicht ganz klar. Strukturen, Richtlinien sind für die Japaner genauso wichtig, wie ihre Flüchte in eine andere Welt. Irgendwie gehört alles zusammen. Ohne es jemals zu hinterfragen.
Jeder lebt hier sein Leben – und keiner stört den anderen dabei. Höflichkeit und Respekt – Worte die in Tokio kaum einer ausspricht – jedoch jeder lebt. Rempeleien auf dem größten Zebrastreifen der Welt – Shibuya – Fehlanzeige. Jeder bahnt sich seinen Weg. Keine Schubsereien – und wenn, dann sind diese gefolgt mit zahlreichen Entschuldigungen. Ich bin fasziniert und sprachlos zugleich. Diese Wucht der Eindrücke, die ich allein in 48 Stunden erfahren habe, lässt mich nicht mehr los. Als hätte jemand mir intravenös Energy Drinks verabreicht. Ich komme einfach nicht zur Ruhe. Dabei hat doch alles relativ harmlos angefangen.
Sumo – eine eigene Welt
Ich knie mich auf den Boden. „Bitte achte darauf, deine Füße sowie Beine niemals in die Richtung der Sumo-Ringer zu zeigen“, erklärt mir Shun. Ich stocke und schaue ihn verwundert an. „Zudem solltest du während des Trainings bitte nicht reden.“ Warum sollte das verboten sein? Es ist doch nur ein Training.
Aber schon in den ersten 10 Minuten erkenne ich den Grund. Im Trainingsraum der Sumo-Schule herrscht eine ungewöhnliche Stille. Fast so wie in einer Kirche. Allein der Meister gibt die Anweisungen. Kraftvoll und fordernd. Vor ihm stehen insgesamt zehn Sumo-Ringer. Allesamt in der traditionellen Kleidung. Jeder einzelne folgt den Regeln des Meisters wie von Zauberhand – ohne Widerworte. Gestandene Männer – manch einer mit einer Körpermasse von mehr als 200 kg. Was der Meister sagt, wird umgehend erledigt. Sogar der Kaffee wird von einem Schüler gereicht. Die Ringer scheinen wie Butter in seiner Hand zu sein. Ich beobachte die Szenerie und bin fasziniert.
Inmitten des Raums ist ein Kreis voller Sand. Mehr auch nicht. Das Aufwärmtraining beginnt. Langsam bewegen sich die Sumo-Ringer durch den Raum. Dabei schieben sie mit ihren Füßen den Sand von einer Seite zur anderen. Ich schaue gebannt zu und versuche so leise wie nur möglich zu sein. Der Trainingsablauf ist klar strukturiert. Jeder weiß was er zu machen hat. Ingesamt drei Stunden trainieren sie täglich. Ohne Frühstück – dafür aber mit einem ausgiebigen Mittag und Abendessen. Kochen – das machen die Sumo-Ringer selbst.
Sie wohnen und leben in der Sumo-Schule. Ein Privileg, das nicht jedem in Japan zuteil wird. Sumo-Ringer zu werden ist eine Ehre. Nicht nur für sich, sondern auch für die ganze Familie. Aktuell gibt es davon 700 in Japan. Doch nur die ersten 70 verdienen mit ihrer Berufung auch Geld. Die anderen versuchen ihr Bestes, um genau in diesen Kreis der Auserwählten zu gelangen. Eine andere Tätigkeit ist Ihnen während ihres Sumo-Daseins nicht erlaubt. Eine schwere Vorstellung für mich. Aber Traditionen werden nunmal nicht gebrochen- vor allem nicht in Japan. Zudem verwirrend – sie dürfen zwar heiraten, jedoch nicht mit ihrer Frau zusammenleben. Die Sumo-Schule ist ihr einziges Zuhause. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihre Karriere beenden. Und danach? Dann eröffnen sie meist ein eigenes Restaurant. „Kochen können sie ja“, so die Antwort von Shun.
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Das Aufwärmtraining ist nun abgeschlossen. Der Kampf beginnt. Masse drückt sich folgend von einem Kampfschrei gegen eine andere Masse. Voller Wucht – allein der Anblick lässt mich im ersten Moment erschauern. Ich schaue gebannt zu und beobachte mit welcher Disziplin jeder einzelne Sumo-Ringer arbeitet. Während zwei im Kreis kämpfen, stehen die anderen drumherum und trainieren selbstständig. Egal ob Handtechniken oder Beinmuskulatur. Es sieht ganz so aus, als würden sie eine Art Zirkeltraining durchführen.
Langsam breitet sich der Geruch vom anstehenden Mittagessen in den Räumen aus. Es riecht lecker. Sehr lecker sogar. „Also das mit dem Restaurant ist wirklich keine so schlechte Idee“, jagt es mir in diesem Moment durch den Kopf und dabei kann ich mir ein weiteres Grinsen nicht verkneifen.
Skytree – Über den Dächern von Tokio
Genauso geräuschlos wie ich aus dem Sumo-Training hinaus gehuscht bin, genauso leise rauschen wir hinauf in den 340 Stock. In nur 50 Sekunden! Ort des Geschehens ist der größte Fernsehturm der Welt – der Tokio Skytree. Wirkte die Stille beim Training religiös, so ist der Anblick von hier oben absolut himmlisch. Tokio ist vor meinen Augen zu einer Miniatur Wunderwelt zusammengeschrumpft.
Die größte Stadt der Welt liegt vor meinen Füßen. Es scheint als würden die zahlreichen Wolkenkratzer wie Zahnstocher aus dem Boden ragen. Ich gehe einmal komplett über die Plattform und fotografiere, was das Zeug hält. Mit einem weiteren Aufzug geht es dann hinauf auf den höchsten Punkt – 451,2 Meter über Tokio. Atemberaubend. Der insgesamt 634 hohe Turm wurde am 22. Mai 2012 eröffnet. Er ist der höchste Fernsehturm und nach dem Burg Khalifa in Dubai * das zweitgrößte Bauwerk der Welt.
teamLab Boderless – faszinierendes Lichtspektakel
Schon im Vorfeld habe ich mich über die neuste Errungenschaft Tokios im Netz informiert. Das Digital Art Museum – teamLab ist eine einzigartige, begehbare Ausstellung, die im Juni diesen Jahres eröffnet wurde.
Ein Labyrinth mit zahlreichen Lichtinstallationen. Einmal drin, bewegt man sich in den dunklen Fluren von einer Zauberwelt in die nächste. Jede einzelne ist atemberaubend und kunstvoll. Ich finde mich plötzlich in einer Ansammlung von Schmetterlingen wieder, die über mir, unter mir und sogar auf mir fliegen. Eine Leichtigkeit umgibt mich – es scheint als würde auch mich das Gefühl von Schwerelosigkeit einholen. Faszinierend.
Nur schweren Herzens verlasse ich die bunten Schmetterlinge und begebe mich in den nächsten Raum. Vor mir liegt ein dunkler Flur. Ich sehe kaum die Hand vor meinen Augen. Plötzlich entdecke ich ein Leuchten hinter der nächsten Abbiegung. Es wird immer heller und heller.
Und wie von Zauberhand stehe ich inmitten eines Regenschauers – keine Angst, kein richtiger Regen. Von der Decke hängen hunderte LED Streifen. Meterlang. Wie ein Vorhang. Kleine Wege führen durch die riesige Ansammlung. Sie alle leuchten in den unterschiedlichsten Farben, perfekt aufeinander abgestimmt und präsentieren verschiedene Szenerien. Es handelt sich hierbei um das Thema Natur in all ihren Facetten: Feuer, Regen, Blitz, Sterne und Co. wechseln sich ab und liefern ein einzigartiges Schauspiel. Ich ertappe mich dabei wie ich gedankenverloren um mich blicke. Ich suche mir eine Ecke und beobachte für eine unbestimmte Zeit dieses einzigartige Schauspiel. Magisch.
Es gibt unzählige Installationen im teamLab. Absolut sehenswert! Doch wie sagt man so schön – Bilder sagen mehr als tausend Worte. Unser Tipp: Wer die Ausstellung besuchen möchte sollte schon lange im Voraus die Tickets buchen. Gerne zwei bis drei Wochen vor dem Termin. Der Andrang ist riesig.
Video: Was tun in Tokio? | 48 Stunden in Tokio | 48 hours in Tokyo
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Author: Stephanie Arnold
Last Updated: 1700065563
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